Donnerstag, 24. November 2011

schau genau hin...

st. johann am wimberg, november 2011
copyright © karin luger
glücklich, wenn die tage fließen wechselnd zwischen freud und leid, zwischen schaffen und genießen, zwischen welt und einsamkeit.


johann wolfgang von goethe










heute, während eines seminars, das ich gemeinsam mit meiner schwester andrea gehalten habe, hat sich in mir einerseits etwas verdichtet und andererseits gelöst.

es handelt sich um das sein.
um das anzuerkennen, was ist. 
es geht darum, dass ich hinschaue, dass ich in mich hineinschaue. 
dass ich hinter meinen vorhang blicke. 
schaue, was sich hinter meiner angst, meiner wut, meiner hiflosigkeit verbirgt.


ich weiß das schon lange. 
mein kopf hat mir dies immer wieder erklärt. 
mein herz hat dazu wissend genickt und sich doch so manches mal zusammengezogen, hat einen sicherheitswall aufgebaut und im dunkeln ganz still abgewartet, dass sich angst, trauer, eifersucht, stolz, zorn und einsamkeit entfernen. 


die letzten jahre habe ich viel, sehr viel gelernt. ich habe zu mir gefunden, habe mich lieben gelernt, habe meinen gefühlen raum gegeben, habe schmerz zugelassen und habe akzeptiert, was ich früher nicht einmal in meinen gedanken auch nur in spurenelementen hätte annehmen können.


ja, früher... 
ja, es gab die zeit, in der ich meine (inneren) augen vorsorglich verschlossen hielt, um ja nicht etwas zu sehen, das womöglich weh hätte tun können. und wenn doch einmal ein schmerzhaftes erlebnis meine oberfläche durchstieß, dann aktivierte ich all meine kräfte, um dieses schlechte, unangenehme, schmerzhafte zu verdrängen. ich habe mich von einem wichtigen teil meines lebens selbst abgeschnitten. dieser teil erhielt von mir die etiketten hässlich, unpassend, schlecht und dann verursachte dieser teil auch noch schmerz - ich war doch kein masochist!
was ist in wirklichkeit passiert?
all diese verdrängten gefühle waren eben nur verdrängt. sie hatten sich nicht in wohlgefallen aufgelöst. sie lauerten irgendwo in einer ecke meines unterbewussten, um dann und wann wieder aufzutauchen. manchmal sogar in verkleideter form als ärger, aggression oder stolz. sie wollten mir immer nur eines mitteilen: hallo, vergiss uns nicht, wir gehören zu dir!


ich habe gelernt, mich zu beobachten. ich habe es mir zur gewohnheit gemacht, genau hinzusehen. und auszusprechen, was im moment in mir lebendig ist. es gelingt mir sehr oft und das freut mich.
wenn es mir das eine oder andere mal nicht gelingt, dann weiß ich, dass da noch eine tiefe angst verborgen schlummert, die es gilt, aufzuwecken, sie anzusehen und anzunehmen.



mit dem ersten erfolgserlebnis erwachte ein vertrauen, das seitdem unaufhörlich wächst.
ich habe erkannt, noch besser, ich habe es am eigenen leib verspürt, dass sich mit dem augenblick der akzeptanz der schmerz aufzulösen beginnt. und gleichzeitig verdichtet sich ein gefühl der freude, der liebe. ich habe keine ahnung, was da wirklich abläuft. aber ich bin so unendlich dankbar dafür, dass mich ganz viele menschen bis zu diesem, meinem ersten Schritt begleitet haben - quasi geburtshilfe geleistet haben!

...und ich empfinde das, was goethe einst aussprach: ich bin glücklich, wenn die tage zwischen freud und leid fließen...
es ist ein immerwährender zyklus zwischen verdichtung und auflösung und wir alle dürfen in diese schwingung einsteigen!

Freitag, 11. November 2011

heute vor einem jahr...

"ich sitze auf einem hocker in der küche, einer meiner lieblingsplätze in unserem neu gemieteten wochenendhaus, das fenster ist offen und ich genieße die sonnenstrahlen. unten in der stadt ist es grau und neblig. ich gehöre jetzt zu den privilegierten mit zweitwohnsitz. ich muss lächeln."

(aus dem buch meiner schwester susanne)












... ja, heute vor einem jahr, am 11.11.2010, hat meine schwester ihre erste lesung gehalten. 
im michl´s café in wien. 


wie waren wir beide aufgeregt! ich glaube sogar, dass ich aufgeregter war als susanne! wird die fahrt nach wien ohne probleme, ohne stau oder sonstiger hindernisse verlaufen, wird susanne diesen langen und anstrengenden tag aushalten, werden genügend leute da sein, wie viele menschen passen überhaupt in das café? diese und ähnliche gedanken rauschten durch meinen kopf, während ich die druckfrischen bücher in den vw polo meiner schwester lud. 


unglaublich! das gerade erst vor einem guten jahr begonnene buch lag nun in meiner hand. 
was meine schwester seit jenem tag im august, an dem sie beschloss, ein buch zu schreiben, geleistet hat, ist ein wunder. das würden mir alle gesunden autoren bestätigen, wenn sie an den weg von der idee bis zur veröffentlichung ihres ersten buches denken.
susanne hatte zu dem zeitpunkt, als sie ihr buch zu schreiben begann, bereits verhärtete, verkrümmte und vor allem schmerzende fingern. und dennoch schrieb sie tag für tag stundenlang all ihre erlebnisse und gedanken nieder, mit der hand. danach überarbeitete sie ihr buch und tippte es nun in den computer. 360 seiten umfasst ihr buch.


sie fand eine lektorin, einen verlag und zwei sponsoren, die sich entschlossen, eine größere menge an büchern bereits vor dem erscheinen fix abzunehmen. 


sie kontaktierte magazine. als sich eine journalistin des magazins "gesundheit" bereit erklärte, über susanne, ihr leben und ihr buch zu schreiben, war das eis gebrochen. einige renommierte zeitungen und zeitschriften sahen den beitrag und berichteten ebenfalls über susannes schicksal und ihren unermüdlichen willen, zum leben ja zu sagen. 


der radiodoktor auf ö1 lud meine schwester ein - ich werde nie vergessen, als der redakteur zu susanne sagte, dass es vom eingang des funkhauses bis zum aufnahmestudio nur ein paar schritte sei. und ich werde es auch nie vergessen, wie unendlich beschwerlich es für meine schwester war, den schier endlosen gang bis zum studio mit dem rollator zu bewältigen.


susannes wille, ihr buch so vielen menschen wie möglich zugänglich zu machen, ließ sie unermüdlich arbeiten. und so organisierte sie eine um die andere lesung. sie machte dies alles völlig alleine. niemand half ihr dabei. auch ich nicht. ich war zur stelle, wenn es um fahrten zum verleger, zu journalisten-bzw. fototerminen ging.


dass susanne im michl´s café, gleich hinter dem wiener rathaus, ihre erste lesung hielt und dass sie diese ganz alleine in die wege geleitet hatte, das verblüffte sogar die restaurantleiterin des cafés. denn immerhin kam vom veranstaltungsbüro des wiener bürgermeisters die aufforderung, mit frau luger bezüglich einer geplanten lesung kontakt aufzunehmen. wer war denn diese frau luger...


die lesung war für alle anwesenden ein ganz besonderes und berührendes erlebnis. susanne hat die herzen der menschen erreicht. 
ich bin so unendlich stolz, dass ich dabei sein durfte.


und heute, ein jahr später, kann ich es noch immer nicht glauben, dass ich meine schwester nie wieder berühren, nie wieder umsorgen, nie wieder in meine arme schließen kann. denn in 3 tagen ist meine schwester bereits seit 8 monaten tot.


doch ich höre sie sagen: alles wird gut.

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