Montag, 29. Januar 2018

ÄSTHETISIERUNG = ANÄSTHETISIERUNG?

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sobald der mensch den sinn für das sittliche einbüßt, wird er besonders ansprechbar für ästhetisches.

leo tolstoi






wir polieren die oberflächen...
jegliche oberflächen...
unsere gesellschaft lässt beim polieren nichts aus.

da ist zunächst einmal unser äußeres: glatt muss sie sein, die haut, vor allem die im gesicht. der busen braucht ein gewisses optisches erscheinungsbild, der penis mittlerweile auch. ja, und wie ich unlängst gehört habe, auch die schamlippen haben einer gewissen norm zu entsprechen. in asien werden oberschenkelknochen gebrochen und künstlich verlängert, augen werden auf europäisches aussehen adjustiert, für die hautfarbe gibt es schon lange weißmacher-cremen. 
eine neue industrie ist entstanden. 
anti-ageing ist die devise. 
in diesem zusammenhang fällt mir das buch "the picture of dorian grey" von oscar wilde ein - extrem lesenswert!

unsere sprache unterwirft sich ebenfalls dem ruf nach ästhetik.
wir haben keine putzfrauen mehr sondern raumpflegerinnen, prostituierte sind sex-dienstleisterinnen. 
macht ein unternehmen verluste, so wird eine gewinnwarnung ausgesprochen. stagniert die wirtschaft, sprechen wir von null-wachstum.
nannte man früher kinder mit lernschwierigkeiten lernbehinderte, so sagt man heute förderschüler.

kinder dürfen nicht mehr schmutzig werden - gott sei dank gibt es genügend spiele im internet - das kommt dem sauberkeitssinn wunderbar entgegen!

im supermarkt ist alles ästhetisch verhüllt, um vom grauen des inhalts abzulenken. denn in so manchem lebensmittel steckt nicht nur kein leben, sondern im gegenteil allerhand an gesundheitsschädlichen inhaltsstoffen. was fürs auge schön angerichtet ist und durch aroma- und farbstoffe durchaus appetitlich anmutet, dient in erster linie dem profit des erzeugers und nicht dem wohle des konsumenten. hauptsache, es schaut schön aus!

wir dekorieren, verschönern, korrigieren, adjustieren...
wir verwenden sehr viel energie und aufmerksamkeit fürs polieren der oberflächen.
wir reden uns die wirklichkeit schön.

und diejenigen, die dieses ästhetische bild stören, wie zum beispiel flüchtlinge, die sperren wir am besten in ein lager, aus dem wir sie nicht rauslassen...


die alten und gebrechlichen menschen dämmern in den senioren- und pflegeheimen ihrem einsamen tod entgegen. das ist auch gut so, denn wir wollen nicht daran erinnert werden, dass wir womöglich eines tages auch erkennen müssen, dass unser so wunderbar poliertes leben dem ende zugeht und dass sich hinter der gepflegten fassade allerhand unrat, verfaultes und unzählige scherben angehäuft haben... 
dann kann es schon sein, dass die wirkung unserer ästhetik-narkotisierung nachlässt und das weniger glatte, dekorierte, fehlkorrigierte zum vorschein kommt.
denn auch das will gesehen, geachtet und anerkannt werden.
je früher, desto besser...

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